Es gibt drei Ziele, die jede Person verfolgen sollte.
Es sind das Streben nach Leben, das Streben nach Transzendenz und das Streben nach Entwicklung.
In Indien, Tibet, China und Japan ist Sexualität schon seit Langem als Kunst und Wissenschaft betrachtet worden, durchaus wert, einer detaillierten Studie und Praxis unterzogen zu werden. Aus östlicher Sicht ist nämlich kein Lernen vollkommen ohne gründliche Kenntnis der sexuellen Prinzipien, die jedem Dasein zugrunde liegen. Östliche metaphysische Traditionen machen Gebrauch vom Mysterium der Sexualität als Mittel für das transzendentale Erleben der Einheit. Das Gefühl des Eins sein, das während oder nach dem Geschlechtsakt erreicht wird, ist die am Universalisten erreichbare mystische Erfahrung.
Die sexuellen Geheimnisse, die ich hier knapp und zeitgemäß enthüllen werde, sind das Vermächtnis mehrerer konvergierender Traditionen. Diese Geheimnisse werden in frühen magischen Schriften der alten Ägypter erwähnt oder angedeutet, desgleichen in den mystischen Aufzeichnungen der Hebräer, Griechen und Araber. Eine Studie der alchimistischen Bücher aus dem mittelalterlichen Europa enthüllt eine Fortsetzung dieser Traditionen und Erfahrungen, die oft die Form inspirierter romantischer oder mystischer Dichtung annehmen und allgemein in Allegorien gekleidet sind. Arabische Lieder und Schriften über das Thema Liebe weisen sehr viele sexuelle Elemente auf, die am besten zu verstehen sind, wenn man in ihnen die Einflüsse aus dem Osten aufspürt. Es ist evident, dass alle abendländischen Lehren von Transzendenz durch tatsächliche oder allegorische Erotik ihren Ursprung im Orient finden.
Ich bin in der besonders glücklichen Lage gewesen, die theoretischen und praktischen Aspekte der sexuellen Geheimnisse mit östlichen Meistern erforschen zu dürfen.
Außerdem habe ich aus meiner persönlichen Erfahrung geschöpft, die ich für einen Prüfsteinhalt, an dem sich sowohl die praktische als auch theoretische Wahrheit der Lehre messen lässt. Ich habe Originalschriften aus dem Sanskrit und Tibetanischen studiert. Wo immer es irgend möglich war, habe ich nach authentischen Quellen gesucht. Die Alchimie der Ekstase ist einfach und gleichzeitig ungemein komplex. Dieses Paradoxon sollte aber den ernsthaften Sucher nicht entmutigen, denn die sexuellen Geheimnisse werde ich in den folgenden Artikeln in praktische Form zusammenstellen. Die tantrischen Lehren von Indien entwickelten sich synchron, und so gab es einen doppelseitigen Austausch von Techniken und Ideen. Tibet empfing die Lehren sowohl von China als auch von Indien – über mindestens ein Jahrtausend hinweg wurden diese mystischen perfektioniert. Ich meine, dass die tantrischen und taoistischen Traditionen die klarsten und bedeutungsvollsten Sexualgeheimnisse für die heutigen Bedürfnisse des Westens darstellen.
Die Entscheidung, die sexuellen Geheimnisse in dieser Form zusammenzustellen und zu synthetisieren, wurde dadurch inspiriert, dass ich beobachte, wie sich die Einstellung unserer Gesellschaft gegenüber der Sexualität ändert. Das wachsende Interesse an Bewusstseinserweiterung und Selbst-Bewusstsein hat viele dazu veranlasst, nach Befreiung durch Sexualität zu suchen. Sexuelle Tabus und Hemmungen wurden durchbrochen, um Sinnenfreude von Schuldgefühlen zu befreien. Ich bin sicher, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist – aber es kann auch gefährlich sein, wenn es nicht von emotionaler Reife begleitet wird.
Befreiung, vorwiegend sexuelle Befreiung, muss sich nach einer positiven spirituellen Richtung orientieren. Falls nicht, werden Leere und Bedeutungslosigkeit das unausweichliche Resultat sein, wenn sich die Neuheit der Erlebnisse und Erfahrungen abgenutzt hat. Westliche Psychiater und Psychologen haben festgestellt, dass die ständig zunehmende Häufigkeit dieses Leere-Gefühls die Wurzel von Neurosen in unserer allzu freizügigen Gesellschaft ist – sie sind sich der Notwendigkeit bewusst, dabei behilflich zu sein, Bedeutung und schöpferische Richtung im Leben des Individuums wiederherzustellen. Zum Teil als Reaktion auf das Gefühl spiritueller Leere ist sich der Westen der Gültigkeit und der profunden Einsicht der östlichen mystischen Praktiken bewusst geworden. In einer Zeitspanne von nicht einmal zwanzig Jahren sind Yoga und Meditation zu Begriffen des alltäglichen Sprachgebrauchs geworden. Encounter-Gruppen, Sensitivity-Training, T’ai Chi, transzendentale Meditation, Gestalt-Therapie und viele andere Bewusstseinstherapien haben sich überall in den durchgesetzt. Das üppige Wachstum dieser Bewegungen resultiert aus einem echten Bedürfnis, wieder zu einem tieferen und bewussteren Lebensgefühl zurückzufinden.
Die seit Langem fest gefügtem und starrem Normen sexuellen Verhaltens im Westen haben psychologische Barrieren geschaffen, die innerliches Wachstum verhindern und einschränken. Diese <<Vorschriften>>, von Eltern oder gesellschaftlichen Institutionen eingeschärft, haben viele Leute dazu verdammt, in permanenter Frustration zu leben. Ein verzweifelter Versuch, sich einer konventionellen, obwohl möglicherweise unnatürlichen <<Form>> sexuellen Verhaltens anzupassen, schränkt individuelle Entwicklung ein und kann zu heimlichen Perversionen und schädlichen Schuldgefühlen führen.
Ein ehrlicher Bruch mit den allgemein akzeptierten Maßstäben, ausgelöst durch den Wunsch nach persönlicher Befreiung, hätte bis in jüngster Vergangenheit zur Entfremdung führen können. So haben viele die Notwendigkeit eingesehen, die Auslegung der Norm zu erweitern, sowie die Hemmnisse der Konvention und die Beschränkungen durch Gewohnheit aufzuheben. Durch Erforschung des sexuellen Potenzials, in uns und in anderen, können wir bewusst die Alchimie der Ekstase kennenlernen. Meiner Meinung nach ist es die philosophische Voraussetzung, dass dieser Prozess der Selbstentwicklung in einem spirituellen Kontext und dem Streben nach Höherem unternommen werden muss.
Erst in den vergangenen Jahren ist sich der Westen der Tiefe der Weisheit bewusst geworden, die in den tantrischen und taoistischen Lehren in Bezug auf Sexualität zum Ausdruck kommen. Unglücklicherweise aber hat das plötzlich aufflammende Interesse an dieser größtenteils esoterischen Literatur auch zahlreiche Missverständnisse im Hinblick auf sexuelle Praktiken mit sich gebracht. Diese Missverständnisse sind aus Unwissenheit erwachsen – man hat die subtilen oder allegorischen Bedeutungen vieler Teile der ursprünglichen Texte nicht verstanden, denn diese Schriften waren ein sorgfältig gehütetes Geheimnis, das nur denen enthüllt wurde, die mit Erfolg die Einführungsriten vollzogen hatten. Außerdem war ein Großteil dieser Literatur nur Gelehrten zugänglich, was zu Folge hatte, dass Laien nur unzureichende Gelegenheit hatten, das Originalmaterial zu erforschen. Die Bekanntschaft mit diesen Lehrern, wenn aus zweiter Hand und meistens noch ungenau verstanden, hat westliche Sexologen und populäre Schriftsteller, die sich mit sexuellem Okkultismus beschäftigen, oft dazu verleitet, voreilige und falsche Schlussfolgerungen zu ziehen.
Das Kern-Erlebnis von Tantra sind die sexuellen Geheimnisse. Tantra ist eine Philosophie, eine Wissenschaft, eine Kunst und eine Lebensart, wo sexuelle Energie bewusst und kreativ genutzt wird. Die mystischen Abhandlungen, allgemein als Tantras bekannt, enthalten ein breites Spektrum praktischer Techniken zur Erhöhung des sexuellen Bewusstseins mit dem Ziel, Transzendenz zu erreichen. Die verborgene Macht des Geschlechtsaktes ist der Samen für alle Kreativität. Durch das Verstehen der praktischen Lehren des Tantra eröffnet sich ein neuer Sinn des Lebens.
Kaiser, Könige und Königinnen hatten für sich andere Sexualität-Maßstäbe als für ihre Untertanen. Die sexuellen Geheimnisse wurden in der Vergangenheit ausschließlich für Herrscher und Eingeweihte reserviert, die es nötig hatten, Macht intelligent auszuüben.
Macht wurde durch sexuelle Erfahrungen erreicht, die dazu dient, die Vitalität zu steigern und zu stärken. Die in diesen Praktiken gefundenen Energie wurde bewusst in bestimmte Kanäle geleitet, um Integrität, Klarheit und Weisheit zu fördern.
Früher glaubte man, dass Wohlbefinden und Wohlstand eines Landes in direkter Beziehung zur Vitalität des Königs standen. Die sexuellen Geheimnisse waren nicht so ohne Weiteres den Massen zugänglich, wenngleich sie in Frühlingsfesten, Fruchtbarkeitsriten und Formen heidnischer Verehrung ihren Ausdruck fanden. Das Heidentum hatte sexuelle Energie als feste Grundlage – viele der Riten und Rituale basierten auf profundem Verständnis der Sexualität.
Ich schreibe diesen Text nicht für diejenigen, die Macht über andere erlangen wollen, indem sie die Macht des Sex für rein weltliche Zwecke manipulieren oder benutzen. Die sexuellen Geheimnisse sollten nicht aus selbstsüchtigen Gründen verwendet werden. Viele dieser Geheimnisse wurden eifersüchtig gehütet, um sie vor jeglichem Missbrauch zu bewahren. Als Folge dieser Verheimlichung wurden allmählich Halbwahrheiten über mystische Sexualität, über Tantra und Taoismus verbreitet, womit letzten Endes mehr Schaden als Nutzen angerichtet wurde. Ich enthülle hier also Wissen, das in der Vergangenheit Einweihung erforderte. Ich denke, der ethische Eckstein dieser Lehren ist die individuelle Verantwortung. Fortschritt in der tantrischen Evolution bleibt allen denen verwehrt, die diese Verantwortung nicht auf sich genommen haben.